Das Innere Kind
oder
der Furz des Dalai Lama
September 2021

Das Innere Kind oder
der Furz des Dalai Lama

Lach´ nicht!
Auf dem Weg des Erwachsenwerdens haben viele von uns die vertraute Verbindung zu ihrem Inneren Kind in sich gekappt, um bestimmte Gefühle nicht mehr spüren zu müssen. Wir haben angefangen uns für das Innere Kind so zu schämen, wie unsere Eltern uns beschämt hatten, als wir unsere echten Emotionen zeigten. Ok, hatten wir uns irgendwann gesagt und emigrierten in den Kopf: „Ihr wollt mich vernünftig? Ich werde es sein. Ich will kein Kind mehr sein, das tut weh und macht mich verwundbar". Da trennten wir uns vom Inneren Kind und ließen es allein.

Aber so wie wir vor unserem Schatten nicht weglaufen können, lebt das Innere Kind in uns weiter. Und in Momenten, in denen wir es vielleicht gerne hätten, wenn wir uns freuen oder uns glücklich fühlen möchten, da bockt es: „Du hast mich damals verraten, jetzt mache ich heute auch nicht mehr mit"! Und anstatt ausgelassen zu lachen, kommt sofort die Angst, doof zu wirken, emotionale oder körperliche Hemmungen tauchen auf. Anstatt einfach glücklich zu sein, fällt uns schnell ein, was eigentlich doch nicht so gut in unserem Leben ist. Die Angst steigt hoch, dass wir für das Glück zahlen werden müssen. Oder eine Befürchtung kratzt an unserem Selbstbild, dass wir etwas übersehen haben und naiv sind, denn eigentlich gibt es nichts zum Glücklichsein, wir sollten uns nicht lächerlich machen... Ach, jeder kennt doch den eigenen Glücks-Saboteur...

Und da, wo wir allzu gerne vernünftig und erwachsen wären, in den schwierigen emotionalen Situationen etwa, da sprudelt aus uns verräterisch das kindliche Verhalten. Brüllen wollen wir oder im Boden versinken, uns rächen oder oder oder... Manchmal sind diese Reaktionen leider schwer unter Kontrolle zu kriegen. Das eingesperrte Innere Kind ist durch ein Loch in der Mauer geschlüpft und zerlegt alles, was ihm unter die Finger kommt.

Kennt das jemand?
Scheitern?
Ja, bitte.
Steigt man in sich selbst hinab, so findet man, dass man alles genau das besitzt, was man begehrt.
Simone Weil

Mir ging es früher so: da schaute ich mir weise Frauen und Männer an und fragte mich: passiert ihnen das nicht, solche Ausbrüche? Haben sie denn gar keine grellen Emotionen mehr? Sind sie nur noch erleuchtet? Ich dachte: sie sind sehr vernünftig und ich dachte, sie unterdrücken das kindliche Verhalten, kontrollieren es und ich versuchte das Gleiche. Es gelang mir nicht, und je mehr ich versuchte, vernünftig zu wirken, desto schlimmer wurde es, desto verletzbarer fühlte ich mich und irgendwie lächerlicher. Der Dalai Lama zerstörte in mir dieses Bild, als ich zufällig einen Ausschnitt eines Interviews mit ihm hörte, in dem er über sein Furzen im Flugzeug erzählte und dabei herzhaft darüber lachte. Dieses Bild gehrte lange in mir nach und der unangenehme Beigeschmack verwandelte sich in eine schlichte Offensichtlichkeit – die weisen Männer und Frauen unterdrücken das Kind nicht. Sie lassen es zu und lieben es. Deswegen strahlen sie dieses Ganze, dieses „Mit-sich-eins-sein" aus. Fehler machen dürfen, auch mal etwas nicht wissen oder nicht können, nicht der Beste sein, auch mal durchschnittlich sein und versagen, scheitern, müde und träge sein, ohne sich dafür zu schämen. Sich annehmen und lieben, Mitgefühl für sich haben und weitergehen.

Wir haben neulich ein Video von einem Vortrag gedreht, in dem ich simultan ins Russische übersetzte. Da gibt es eine Szene, in der mir das russische Wort viel zu lange nicht einfiel und ich ins Stocken geriet. Als ich dann das Video zum ersten Mal in ganzer Länge sah, war ich überrascht, wie souverän ich wirkte, als ich meinen Fehler nicht zu verbergen versuchte, sondern genau diese Verlegenheit zeigte und authentisch blieb. Da lächelte mein Herz und mein Inneres Kind jubilierte: es darf sein! Da ist der Weg! Das fühlt sich glücklich an.

- Daria Markin -
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