Mein Ego schmerzt...
Dezember 2018

Mein Ego schmerzt

Es schmerzt in Wellen
„Es schmerzt in Wellen", - erzählt mir Ann-Marie (der Name ist natürlich geändert). „Manchmal verstehe ich, dass es gar nicht um ihn geht. Wenn er mir auf einmal sagen würde: „Komm zu mir und bleibe bei mir für immer", werde ich sehr verlegen sein. Er ist toll, hat so seine Macken, aber irgendwie ist er schon in Ordnung. Es scheint mir aber, ich habe ihm einen Vorschuss gegeben, ich sehe in ihm Qualitäten, die er vielleicht auch hat, aber selbst noch nicht entdeckt hat. Oder vielleicht hat er sie auch gar nicht".

„Wenn Sie denn alles verstehen und ihn so wie er ist eigentlich gar nicht wollen, wo ist dann das Problem?" - frage ich sie.
„Mein Ego schmerzt".
Mama
Als sie klein war, lebte sie mit ihren Eltern in einer völlig normalen Familie. Äußerlich war alles in Ordnung, braves Mädchen, gut in der Schule, furchtbare Frisur, weil die Mama das so wollte, abgekaute Fingernägel. Das hat sie später selbst in den Griff bekommen. Die Standard-Botschaften: „Blamiere uns nicht!", „Du bist doch ein Mädchen!". Es war doch normal, erzählt sie, es war bei allen so. Der Vater war selten da. Er war viel auf Dienstreisen und arbeitete viel. Alle Erinnerungen an kleinere und größere Verratssituationen macht sie an der Mutter fest, einer Mutter mit einem immerzu unzufriedenen Gesicht, vor allem, wenn etwas ihren Erwartungen zuwider lief.. Es waren viele Erwartungen, keiner wusste so genau, welche das waren. Auch Papa wusste es nicht.

Dass Papa so wenig da war, durchschaut Ann-Marie nicht sofort. Für sie ist ihr Papa ein richtiger Mann, ein Einsamer, weil Mama ihn kaputt gemacht hat. Mama war stark und hat mit der Zeit seinen Freundeskreis eingeengt, schleppte ihn in Kust-Ausstellungen mit, die ihn nicht interessierten, beschäftigte ihn mit ihren Hobbys. Er machte alles gerne für sie. Und gab sich selbst innerlich auf.

Ann-Marie schaut mich an. Und je mehr sie mir über ihre Mutter erzählt, desto klarer wird es ihr, was sie eigentlich von ihrem Freund will: sie möchte, dass auch er auch zu den Kunst-Ausstellungen mit ihr geht, die ihn nicht interessieren... Und er will es nicht.

Ihr Ego schmerzt.
Papa
Als Papa aus den Dienstreisen nach Hause kam, brachte er immer Matchbox-Autos mit, einmal war es sogar ein Baukasten mit richtigen Muttern und Schrauben. Er hätte sehr gerne einen Jungen gehabt. Ann-Marie bemühte sich auch sehr, ein Junge zu sein. Es klappte sogar ziemlich gut. Sie gewöhnte sich an dieses Gefühl, dass so, wie sie geboren wurde, sie schon in Ordnung, aber leider irgendwie nicht ganz richtig war und dadurch immer wieder seine Erwartungen enttäuschte. Er sagte das zwar nie, schaute nur sehr traurig und machte ab und zu so ein bestimmtes Geräusch mit der Zunge seitlich zwischen der Wange und den Zähnen, so ein enttäuschtes Zischen. In solchen Momenten fühlte sich ihr Herz kleiner an. Und zwei sich widersprechende Tendenzen wurden immer deutlicher in ihr: zum Einen die Sehnsucht und das stabile Scheitern, die Erwartungen des Anderen nicht erfüllen zu können, und dadurch das schmerzhafte mittlerweile gewohnte Gefühl der eigenen Nichtigkeit. Und zum Anderen das gegenteilige Gefühl der Rebellion gegen diese Nichtigkeit und das daraus resultierende: „Ich schaffe alles ganz alleine. Und irgendwann beweise ich es ihm..."

Ann-Marie schaut mich an. Und je mehr sie mir über ihren Vater erzählt, desto deutlicher wird für sie die Ambivalenz ihrem Freund gegenüber. Wie gewohnt, sucht sie die Aufmerksamkeit und Anerkennung, stellvertretend für ihren Vater, sie möchte, dass er sie ganz und gar annimmt und würdigt. Und gleichzeitig schafft sie auch alles selbst, sie braucht ihn eigentlich gar nicht, er ist nur so da, er wiederholt ihre alte Geschichte.

Und ihr Ego schmerzt.
Was ist zu tun, wenn das Ego schmerzt?
  • 1
    Verstehen, warum es schmerzt.
    Auf welche Geschichte aus der Kindheit, wie auf einen Teppich, legt sich dieser Schmerz? Dafür fragen Sie sich, wie war Ihre Beziehung mit der Mutter? Wie mit ihrem Vater? Und wie war die Beziehung zwischen Ihrer Mutter und Ihrem Vater? Dann halten Sie nach Parallelen Ausschau. Es gibt immer welche. Entweder haben Sie die alten Muster übernommen oder Sie tun alles, um das Gegensätzliche zu leben. Allein das schon bringt Ihnen mehr Klarheit und Erleichterung.
  • 2
    Emotionen ausdrücken
    Emotionen ausdrücken, nicht aber dem Freund, oder den Eltern gegenüber. Sondern für sich selbst im Sinne des Ausdrucks anstatt sie in sich zu behalten und kochen zu lassen. Schreiben Sie einen Wut-Brief und zerreißen ihn in kleinste Stücke, schreiben Sie Tagebuch. Schreien Sie im Wald oder zu Hause ins Kissen, damit das schmerzende Ego seine Energie entlädt. Unausgedrückt und im Körper abgelagert kann sie Sie irgendwann krank machen.
  • 3
    Mitgefühl entwickeln und erleben
    Finden Sie eine Form, wie sie Mitgefühl mit sich selbst entwickeln können. Kissen eignen sich wunderbar dafür, in der Psychologie nennt man das „Externalisieren des inneren Kindes". Sie können so ein Kissen umarmen und vielleicht da rein-weinen, sich vorstellen, dass dieses Kissen – das Kind sei, dass einen Baukasten anstatt Puppen geschenkt bekam, und Sie – der einzige Erwachsene, der dieses Kind verstehen und trösten kann, endlich da ist, der ganz und gar auf der Seite des Kindes ist, das Kind sieht und hört, wie es ist und was es braucht. Das hilft.
  • 4
    Aktiv und kreativ
    Überlegen Sie, wie konkret die Situationen verlaufen, in denen das Ego schmerzt. Was genau geschieht da und wie genau fühlen Sie sich dabei? Erstellen Sie eine Liste der Gefühle. Und als Antwort auf „Wie fühle ich mich?" reicht nicht zu sagen „sch...". Die deutsche Sprache ist viel differenzierter, seien Sie genau. Danach suchen Sie für jedes Gefühl, was Sie aufgeschrieben haben, z.B. „Ich fühle mich nicht gesehen" eine Möglichkeit, sich selbst darin zu befriedigen, z.B. ich gehe spazieren und fotografiere ein spannendes Bild von einem Tropfen/ Blatt/ Ast, lasse es entwickeln und hänge es in meinem Schlafzimmer auf. So schaffe ich mir „Gesehen-werden" durch mich selbst, anstatt es von meinem Freund zu erwarten, ich werde aktiv und kreativ.
Sie entscheiden
Entweder A.
Am besten ist es, die Beziehungen mit den Eltern der Kindheit zu klären um aufzuhören, durch die Partner die eigene Not und die Sehnsüchte kompensieren zu wollen.

In die Psychotherapie zu gehen bedeutet nicht, dass Sie krank sind oder „Probleme" haben, im Gegenteil. Es bedeutet, dass Sie Verantwortung für Sich und Ihr Handeln übernehmen. Es ist super, kluge Vorträge zu hören, Bücher oder solche Artikel wie diesen zu lesen, aber oft bleibt es leider bei den guten Vorsätzen, es bleibt im Kopf. Nichts ersetzt eine erlebte positive Erfahrung, die das alte erstarrte Muster im Gehirn überschreiben könnte. Dazu braucht es Ihren Willen und das Tun.

Der Hoffman Prozess ist eine der effektivsten Methoden, die Beziehung mit den Eltern zu klären.

Oder B.
Sie können sich auch für das Beschuldigen entscheiden – der Freund, die Eltern, der Ex oder auch Sie selbst sind schuld daran, dass das Leben irgendwie nicht so läuft, wie Sie´s gerne hätten. Und darüber grübeln, dass Er nicht zu den Ausstellungen will, die Sie interessieren. Sie können immer weiter versuchen, ihn stellvertretend für den Vater zu erobern, bis er innerlich kaputt ist. Oder von alleine geht. Oder erst gar nicht zu ihnen findet.

Aber wissen Sie: Egal wie, es ist IHRE Entscheidung. Ob Sie sich für das Opfer-sein oder für die Veränderung, für ihre Verantwortung entscheiden. Auch das Nicht-Entscheiden ist eine Entscheidung, und zwar IHRE. Es kann bequem sein, einen Schuldigen für das eigene Unglück im Äußeren zu finden. Aber dafür zahlen Sie einen hohen Preis: Ihr Glück und Ihre Freiheit.

Na los, fangen Sie mit kleinen Schritten an.
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